Dublin muss weg – die Situation von Betroffenen durch Abschiebung nach einer obsoleten Verordnung

In einem Dublin-Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung von 2013 wird geprüft, welcher Staat in Europa für die Durchführung des Asylverfahrens von Asylsuchenden zuständig ist. Es darf dann nur in diesem einen Staat ein Asylantrag gestellt werden und eine Weiterreise ist nicht erlaubt. Verlässt ein People on the move den zuständigen Staat, kann er oder sie als sogenannter „Dublin-Fall“ abgeschoben werden. Ziel der EU und der vier weiteren beteiligten Staaten Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen war dabei eigentlich zu verhindern, dass Menschen zwischen den Staaten hin- und hergeschoben werden ohne dass jemand Verantwortung für sie übernimmt.

2020 drohte in Deutschland 30.100 Menschen (20 Prozent aller Asylsuchenden) eine Abschiebung nach der Dublin-III-Verordnung. Jeder fünfte Asylantrag wurde also formell abgelehnt, da die Zuständigkeit bei einem anderen Mitgliedstaat lag. Tatsächlich in das Land überstellt wurden aber nur 3.000 Menschen. Im gleichen Zeitraum wurden etwa 4.400 Menschen aus anderen europäischen Staaten nach Deutschland überstellt. Durch die mangelnde Kooperation einiger beteiligter Staaten ist das Verfahren seit 2015 faktisch außer Kraft gesetzt und es wird dennoch daran festgehalten.

In der Verordnung gibt es eine ganze Reihe von Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Staates, die nach der Reihe abgeprüft werden. Zunächst gilt das Prinzip des Kindeswohls für unbegleitete Minderjährige, die dadurch grundsätzlich ein Recht auf Prüfung ihres Asylantrags in dem Land haben, in dem sie sich aufhalten und nicht gegen ihren Willen abgeschoben werden können. Auch das Recht auf Familieneinheit besteht, ist aber nur in einem engen Rahmen garantiert. Es bezieht sich, mit Ausnahme bei Hilfsbedürftigkeit, nur auf die Kernfamilie, d.h. auf Eltern und ihre minderjährigen Kinder und eine Zusammenführung ist nur dann möglich, wenn der/die Ehepartner*in oder ihre Kinder noch in dem anderen Staat im Asylverfahren sind oder bereits dort internationalen Schutz erhalten haben. Meist sind es aber alleinreisende, erwachsene Menschen, die sich auf der Flucht aus ihrem Heimatland auf den Weg nach Europa machen und deshalb wird am häufigsten das Kriterium angewandt, wonach der Staat zuständig ist, über den Mensch in die EU eingereist ist bzw. zum ersten Mal das Territorium betritt. Um dies zu kontrollieren werden People on the move von der Polizei des jeweiligen Landes registriert. Dies passiert vor allem über Fingerabdrücke, die in einer zentralen Datenbank namens EURODAC gespeichert werden, aber auch Fahrkarten oder die jeweilige Landeswährung wurden schon als Beweis geltend gemacht.

Im Prinzip könnte jedoch jeder Staat trotzdem immer noch freiwillig entscheiden, einen geflüchteten Menschen unabhängig dieser Kriterien aufzunehmen, was bekanntlicher Weise aber nicht gerne gemacht wird. Allein aufgrund der Geografie sind demnach meist die Länder an den äußeren Süd- oder Ostgrenzen Europas zuständig, wie beispielsweise Italien oder Ungarn. Und so kommt das Dublin-System vor allem den Ländern im Zentrum Europas zugute, die es in seiner ersten Fassung 2003 auch so durchgesetzt haben und nun daran festhalten wollen, obwohl es zu einer Überlastung weniger, finanziell sowieso schlechter gestellten Staaten führt.

Dass die Lebensbedingungen für die Betroffenen in den Ländern ihrer Zuständigkeit zum Teil unerträglich sind, ist nur einer der Gründe, warum People on the move sich für eine Weiterreise entgegen der Verordnung entscheiden. Neben der Sprachbarriere und mangelnder Informationsweitergabe, ist das Dublin-System an sich schon so kompliziert und undurchsichtig gestaltet, dass Menschen zum Teil garnicht verstehen, welches Land denn jetzt für sie zuständig wäre. Auch kommt es vor, dass Menschen auf ihrer Durchreise unabsichtlich einen Asylantrag gestellt haben, ohne es gemerkt, geschweige denn darüber informiert worden zu sein. Bis das Verfahren abgeschlossen ist, müssen People on the move dann in diesem Land bleiben und oft monatelang in Unsicherheit, ohne Unterkunft, Versorgung oder Arbeitserlaubnis abwarten, wie über ihre Zukunft entschieden wird.

Die Fehler des Dublin-Systems sind auch schon theoretisch offensichtlich, doch die fatalen Auswirkungen haben die People on the move zu tragen. Sie spiegeln sich in zahllosen Lebensgeschichten der Menschen, denen wir in unserem Alltag auf dem Platz begegnen.

Wir treffen zum Beispiel einen Menschen aus Gambia in unserem Medibus, der unter einer langjährigen Erkrankung mit starkem Erbrechen leidet. Auf seinem Weg nach Frankreich bricht er immer wieder zusammen und wird von der französischen Polizei nach Italien gepushpackt, wo wir ihn am nächsten Tag völlig erschöpft und dehydriert treffen. Er erzählt uns, dass er seit einigen Jahren Asyl in Italien habe, aber von der italienischen Regierung nun ausgewiesen wurde, um seinen Fall neu zu prüfen und von einem Tag auf den Anderen seine Wohnung aufgeben musste. Er lebte dann wieder auf der Straße und entschloss sich nach Frankreich zu gehen, wo er aber aufgrund der Dublin-Verordnung nicht einreisen darf und keine Chance auf Asyl hat, da Italien für ihn zuständig ist.

Bei einem Menschen aus Pakistan wundern wir uns über sein fließendes Deutsch und als wir nachfragen, erklärt er uns, dass er bereits 3 Jahre in Deutschland gelebt habe. Er habe die Sprache gelernt und sich ein Leben aufgebaut, dort aber schließlich nur eine Duldung erhalten. Dies ist kein echter Aufenthaltstitel und bringt viele rechtliche Nachteile mit sich. Er bekam dadurch in Deutschland keine Arbeitserlaubnis, was für ihn, wie für viele der Menschen, denen wir begegnen, eine starke psychische Belastung darstellt und dazu führte, dass er schwer depressiv wurde und sich entschied, dass Land zu verlassen und nach Italien zu gehen. Hier wird sein Antrag auf Asyl aber vermutlich abgelehnt werden, weil zuerst Deutschland zuständig ist, wo sein Fall bereits geschlossen ist.

Hinter einem anderen Dublin-Fall verbirgt sich ein Mensch aus Marokko, der perfektes Französisch spricht und ein neues Leben in Frankreich beginnen möchte. Er muss jedoch in Italien bleiben, da dieses Land für seinen Antrag zuständig ist und lebt nun dort auf der Straße und wartet hier nun seit Monaten auf den Ausgang seines Verfahrens, ohne zu wissen, wann und wie darüber entschieden wird.

Der ehemalige EU-Migrationskommissar Avramopoulos sagte, Dublin ist nicht tot und zeigt damit die andauernde Ignoranz der EU gegenüber der bitteren Realität. Nach dem Verfahren dürften in zentraleuropäischen Ländern so gut wie keine Menschen ankommen, was nicht nur ungerecht ist, sondern auch einfach nicht der Fall. In Wahrheit ist das System, spätestens seit 2015, durch die hohe Zahl an Asylanträgen nicht mehr funktionsfähig und wurde deswegen faktisch auch immer wieder außer Kraft gesetzt. Die Länder an den europäischen Außengrenzen können die Zahl der ankommenden Menschen nicht alleine bewältigen, was dazu führt, dass People on the move unmenschlich behandelt werden und sowohl Mitgliedsstaaten als auch People on the move versuchen das System zu umgehen. Währenddessen wird viel diskutiert über alternative Möglichkeiten, wie eine europaweite Quotenregelung. Aber es fehlt die Bereitschaft etwas zu verändern. Und so müssen People on the move weiter mit den fatalen Konsequenzen dieses obsoleten Systems leben.

Das Dublin-Verfahren sollte längst tot sein und es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit von der Situation der Betroffenen erfährt, damit Druck auf die politischen Entscheidungsträger aufgebaut werden kann. Dublin muss weg, das ist offensichtlich und darf nicht mehr weiter geleugnet werden!

We are here and we will fight. Freedom for movement is everybody’s right.

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Erfahrungsbericht Ventigmilia

Einige sind müde. Schon so lange hier. Ich erst seit ein paar Tagen und dennoch merke ich, wie auch ich heute müde bin. Viele Geschichten, viele Menschen. Viel Lärm. Viel Müll. Mittendrin in einer Stadt, in der auch viel Tourismus geht. Manche Menschen, sind so unfreundlich. Mehrmehrmehr, mehr essen, mach mir mehr drauf. Please, antworte ich. Ich bin doch keine Maschine. Und dann, dann kommt ein Please. Aber ob es wirklich ernst gemeint ist, weiß ich auch nicht. Kein Wunder, so viel Scheiße, in so vielen Ländern. Der vielleicht 3. Versuch, über die Grenze nach Frankreich zu kommen. Und wieder hier. Wieder an diesem Ort, an diesem Platz. Wieder an diesem Squat, das geräumt wurde und dennoch, sind nicht alle Fenster mit Metallplatten vernagelt. Es gibt Wege da rein, da drin zu schlafen. Um das Squat herum, Müll. Take away Essensboxen, Kleidung, ein paar leere Bierdosen. Wir geben Essen aus. Hauptsächlich an männlich gelesene Personen.

Wenn weiblich gelesene Personen am Platz sind und mit einer bzw. mehreren männlich gelesenen Personen unterwegs sind ist es unklar, ob diese männlich gelesene Person nicht einer der Menschenhändler ist, die unterwegs sind hier. An einem Tag frage ich vier weiblich gelesene Personen auf dem Parkplatz, auf dem wir jeden Tag sind, wie ihr Weg war, wo sie gerne hin möchten und vor allem wie es für sie ist von so vielen Männern umgeben zu sein. Sie erzählen ihre Geschichten. Dafür winken sie eine männlich gelesene Person dazu, denn sie sprechen kein Englisch. Auf die Frage, wie das mit den Männern ist, zeigen sie mit ihren Fingern, das sie sehr nah wären. Wie Brüder wären sie, oder Cousins. Später erzählt mir eine Person aus der Supportstruktur, dass „Bruder“ und „Cousin“ auch oft benutzt wird für die Männer, die als Schlepper fungieren.

Andere Männer bzw. Menschen die ich männlich lese, begegnen mir mit Sexismus. Ich bekomme den starken Eindruck, dass sie mich auf mein Geschlecht reduzieren. Mir schwindet die Lust, mit ihnen zu reden. Ihre Geschichte zu hören. Ich frage mich, wem kann ich noch vertrauen? Wer kommt mir plötzlich zu nahe? Wann kommt der Zeitpunkt, an dem die Stimmung wieder kippt und ich nicht mehr ernst genommen werde? In einer anderen Sprache vor mir, vermutlich über mich gesprochen wird. Sich über mich lustig gemacht wird.

Aber vielleicht bin ich auch nicht ernst zu nehmen? Weiß, privilegiert, mal eben auf sozialer Mission Essen austeilen und Wifi anbieten und dann wieder zurück? Und mit meiner Erwartung, das Unabhängig von der jeweiligen Sozialisierung ein Umgang ohne Reduzierung auf Geschlecht in allen Kontexten statt finden soll?

Ich denke, ich bin ernst zu nehmen. Und das was hier passiert, ist genau das, ein Auswuchs der kapitalistischen Scheiße, die nun mal nicht von patriarchalen Strukturen zu trennen ist.

Ob ich das wohl lange kann? Die Widersprüche aushalten, die bis dahin gehen, dass ich mich frage inwiefern ich und wir auch negative Wirkungen hinterlassen? Symptome bekämpfen? Meine privilegierte Position nutzen um anderen das Leben in der großen Scheiße ein Stück weit besser zu machen?

Mir erscheint die Stimmung weitaus heftiger, trauriger, trostloser. Als an anderen Orten, an denen ich in ähnlichen Kontexten unterwegs war. Dort erschien es mir, als wären Witze, Scherze, Lachen trotz all der Scheiße ein Teil des Alltages auf der Straße, auf den Plätzen, in den Unterkünften. Vielleicht habe ich es hier noch nicht mitbekommen- aber so wie ich es bisher mitbekomme, erscheint mir die Lebensfreude weitaus weniger am Start zu sein. Vielleicht auch kein Wunder, nach den langen Wegen, nach den vielen (traumatischen?) Ereignissen. Nach so vielen Nächten unruhigen Schlafes. Immer wieder werden mir, werden uns Geschichten erzählt. Unterschiedlichste. Von Erlebnissen in dem Herkunftsland, auf dem Weg dahin, wo die Menschen sich ein besseres Leben erhoffen. Und dann noch Bitte und Danke sagen wenn eine Kartoffel vor dir steht und dir Pasta mit Tomatensoße in ein recycelbaren lapprigen Plastikteller kippt und dir eine Holzminigabel dazu legt?

Mir klebt die FFP2 Maske am Gesicht und ich schenke den nächsten Kaffee ein. Zum zwanzigsten Mal desinfiziere ich mir die Hände, vor mir ein paar Menschen mit Masken, unterschiedliche. Covid ist da, aber irgendwie auch weit weg. Einige der People on the move tragen sogar ihre Maske zum Schlafen. Unser Mediteam berichtet, das dennoch kaum ein Mensch nach einem Coronatest fragt. Die Menschen sind den ganzen Tag draußen, bleiben meist in ihrer Gruppe.

Einige aus der Supportcrew sagen, dass sie bei dem Gedanken, dass sie bald abreisen, denken, es wird hier aber noch lange nicht vorbei sein. Und ich frage mich, hört diese Scheiße jemals auf? Wie oft werde ich noch an Orten sein, an dem der Strand wunderschön ist, die Berge leuchten, der Wasserfall neben mir plätschert und eigentlich nur ein Haufen Scheiße am Start ist?

Wann werden wir damit aufhören können, die Scherbenhaufen dieses Systems zu minimieren? Um dann nach ein paar Wochen „nach Hause“ zurück zu kehren und nach dem Kämpfen mit dem Alltag dort- wieder dort anzukommen und dann, dann irgendwann wieder los zu ziehen?

Dazu die Gefühle untereinander, die Nähe, die Sympathie, das Gefühl am Rande der Nerven zu kratzen und jede Stimmung auf zusaugen und in eine individuelle Ablehnung oder Verunsicherung zu beziehen? Um dann sich selbst wieder hoch zu ziehen, sich wieder zu erholen. Wie viele Gefühle haben hier Platz? Und wie viele Selbstzweifel? Wie viele Auseinandersetzungen untereinander?

Und dabei doch, den ein oder anderen schönen Moment zu haben. Wenn morgens die Sonne auf den Kaffee scheint, wenn wir Menschen nicht wiedersehen und hoffen, das sie es nun geschafft haben- einen Schritt weiter zukommen in ein für sie hoffentlich besseres Leben. Wenigstens eine Grenze überwunden zu haben, die sie dahin hoffentlich näher bringt. Bis dahin die Wut und die Suche nach den Antworten.

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Danke für eure Unterstützung

Vielen Dank an alle, die nicht vor Ort sind, aber die Unterstützung hier möglich machen und gemacht haben! Alle, die an der Organisation beteiligt sind; alle die sich im Vorfeld oder auch noch immer mit Geld und Sachspenden einbringen; alle die in Ventimiglia waren und mittlerweile an andere Orte weitergezogen sind.

Dass es den Menschen, die gerade versuchen in Ventimiglia people on the move zu unterstützen emotional auch nach 4 Wochen meistens noch gut geht, hat auch viel mit euch zu tun.

Solidarische Grüße!

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Erfahrungsbericht Ventimiglia April 2021

Directsupport.

Seid Dezember 2019 ist dieses Projekt für mich ein Bestandteil in meinem Alltag, mal intensiver und mal etwas entfernter.

Im Sommer 2015 war ich in verschiedenen Zusammenhängen und mit verschiedenen Personen, die ich gut oder eher weniger gut kannte an verschiedenen Grenzorten auf der Balkanroute unterwegs, um dort Menschen zu unterstützen die sich auf dem Weg nach Europa oder in weitere westlich gelegene Länder befanden.Ich war auch unterwegs, um zumindestens in Bruchteilen zu verstehen, was medial äußerst diskriminierend als „Flüchtlingskrise“ und später als Sommer der Migration benannt wurde. Im Fernsehen und in den Zeitungen waren Bilder zu sehen, wie unzählige Menschen eingekesselt von Polizei und Militär am Bahnhof von Keletti in Ungarn, campieren mussten. Rasant kam es dazu, dass immer mehr europäische Grenzen schlossen und monatelang Grenzkontrollen wieder auf der Tagesordnung standen, das Schengenabkommen war außer Kraft gesetzt.

Aber was hat das mit Ventimiglia im Jahr 2021 zu tun?

Für mich hat es unter anderem damit zu tun, dass diese Umstände, die ich an verschiedenen Orten für kurze Zeit miterlebt habe, mein politisches Bewusstsein und meine Abneigung gegenüber Staaten und deren Grenzen stark geprägt haben.Viele der Situationen in Rözske, Sid, Belgrad oder Rigonze habe ich noch deutlich vor Augen und werde sie sicher so schnell nicht vergessen.

Szenen in denen hunderte Menschen, meist dürftig gekleidet, orientierungslos, hungrig und verängstigt von Polizei und Militär gekesselt oder von einem Punkt zum nächsten eskortiert wurden. Der Geruch von verbrannter Plastik, nassen Decken gemischt mit Fäkalgestankt…

Als ich zu der Gruppe des Projektes Directsupport hinzu kam, war der Plan auf die Balkanroute, vielleicht nach Bosnien zu fahren, um erneut Menschen, die dort an Grenzen festhängen, soviel Solidarität wie möglich entgegen zu bringen.

Wir haben gemeinsame Vorbereitungen getroffen, bis wir dann im März 2020 merkten, dass eine Fahrt zum Balkan gar nicht möglich ist, da aufgrund der Covid 19 Pandemie fast alle Grenzen, die wie hätten passieren müssen, geschlossen waren.

Somit hat sich das Projekt um ein Jahr verschoben und wir fanden uns im März 2021 erneut vor der Entscheidung – kommen wir mit der geplanten Busstruktur und mit der sich stets ändernden Pandemie Lage voran?

Im Rahmen der Überlegungen, was wir tun wollen, kam der Kontakt zu der ebenfalls selbstorganisierten Gruppe Kesha Niya, die seid einigen Jahren in Italien aktiv ist, zustande.

Wir entschlossen uns, unseren Plan für das Frühjahr zu ändern.

Lange Rede und auch viele Gedankengänge später:

3,5 Wochen mit Directsupport in Ventimiglia.

Diese Zeit verbrachte ich überwiegend auf dem Parkplatz der Via Tenda im Medibus, mit der medizinischen und hygienischen Versorgung von People on the Move im Rahmen unserer Möglichkeiten.

Unsere Tage waren immer ziemlich lang, begonnen meist mit einer Besprechung des Tages und notwendigen Themen am Morgen, dann von Mittags bis Abends am Destributionplace, dann Essensausgabe am Squat oder am Beach und meistens noch Gruppentreffen am Abend.

So kam ich mit sehr vielen und sehr verschiedenen Menschen in Kontakt.

Bei der Versorgung vieler Personen im Medibus kamen unterschiedliche Situationen zu Stande:

Manche Anliegen gingen ganz schnell, manchmal waren Gespräche sehr zeitaufwändig, öfters war es auch lustig – da wir uns mit verschiedenen Sprachapps versuchten zu verständigen, mal mit und mal ohne Erfolg. Manche Besuche im Medibus wurden auch immer vertrauter, da einige Menschen häufiger oder sogar täglich vorbei kamen. Doch kam es auch zu unangenehmen oder nervigen Begegnungen.

Ich konnte mich in meiner Aufgabe im Medibus gut wieder finden, da ich vielen Menschen dadurch in einem kleineren und geschützteren Raum und Rahmen zuhören konnte, an ihrem Alltag teilhaben durfte und Beschwerden lindern konnte.

Da wir unseren Tag ja überwiegend am Parkplatz Via Tenda verbrachten, erlebte ich jedoch auch den Tag am Infobus in Ausschnitten mit und habe somit viele verschiedenen Stimmungen miterlebt, die von der Anzahl der Menschen, vom Frustrationsgrad und vom Wetter abhängig sein konnten.

An vielen Tagen bin ich gerne auf den Platz gekommen, an manchen Tagen war ich angespannt und von der Anzahl der Menschen und ihren Anliegen gefordert. Was ich das erste mal an mir beobachtet habe ist, dass es mich an manchen Stellen beengt hat, überwiegend unter männlich sozialisierten und/oder von mir gelesenen Personen zu sein.

Für mich war es eine intensive Zeit, ich habe erneut erlebt, was es bedeutet, wenn Menschen innerhalb von Europa nicht erwünscht sind und sie am Rande der Existenz leben und durchkommen müssen.

Für mich ist es eine sehr wichtige Erfahrung diese Lebensrealität – die zu meinem Alltag in Deutschland komplett gegensätzlich ist, kennen zu lernen und wahrzunehmen. Ich weiß natürlich, dass es sich um eine sehr kurze Zeit handelt, die ich nur in Ausschnitten mit erlebt habe und das diese Zeit physisch für mich ein Ende hat und für die People on the Move in Ventimiglia weiter geht.

In meinem Kopf und in meinen Gedanken und den daraus folgenden Handlungen bleibt diese Zeit jedoch bestehen und viele Szenen und Tatsachen werde ich nicht vergessen. Für mich ist es wichtig, dass ich diese Erfahrungen und die Einblicke die mir viele Menschen in ihre Leben für einen kurzen Moment gewährt haben zu nutzen. Die Menschen gaben mir somit die Möglichkeit diese Informationen in politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen einzuordnen. Ich möchte sie nutzen, um durch Erleben und Verstehen handlungsfähiger zu werden und nicht nur schockiert zu bleiben, über das was tatsächlich auf Europas Straßen passiert.

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Aktion!

Wir wollen hiermit auf eine Aktion an der italienisch/französischen Grenze aufmerksam machen. Wenn ihr könnt dann sagt es weiter und kommt!

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Zwischen den Bergen und dem Meer

Ventimiglia durchqueren seit Sommer 2015, dem so genannten Sommer der Migration, viele Menschen, die hoffen über Italien in der EU anzukommen oder diese zu passieren.

Jedoch stellt das ein schwieriges Unterfangen dar. Den italienischen Grenzschützer*innen liegt meist nicht viel daran, Menschen am Grenzübertritt nach Frankreich zu hindern. Doch der französische Staat scheut keine Mühen, sich vor Menschen, die auf der Suche nach einem sicheren Raum und einer Perspektive für ihr Leben sind, zu schützen. An den Grenzpunkten von Italien nach Frankreich, ob an der Autobahn, dem Seeweg oder an der grünen Grenze fangen Militär und Grenzbeamt*innen Personen ab, die keine oder die falschen Dokumente mit sich führen.

Selbst im Inland greifen Polizist*innen im Umkreis bis Nizza oder Marseille noch Menschen auf und unterziehen sie rassistischen Kontrollen, um sie dann wieder nach Italien zurück zu schaffen.

Von diesen Umständen betroffen, müssen People on the move sich auch noch mit Wohnungslosigkeit auseinander setzen.

In dem touristischem Ferienort Ventimiglia passt natürlich der Kontrast von Armut und dem Leben auf der Straße nicht in das Stadtbild. Und doch sind in und um den Stadtkern Orte zu finden, an denen sich Menschen ohne Wohnung zurückziehen und soweit es geht arrangieren.

Ein Ort, den wir bereits kennengelernt haben, ist ein verlassenes Betriebsgelände, weit ab vom Kern der Stadt. Wie bereits berichtet, ist dies jedoch ein Ort, der stets von Repressionen betroffen ist und immer wieder von Eigentümer*innen und Polizei geräumt und verschlossen wird. An diesem Ort finden sich unter entsprechenden Umständen bis zu 100 Personen ein. Der Platz ist gezeichnet von Essensabfall, Textilmüll und Fäkalien. Es herrscht ein stetiges Kommen und Gehen und er kann sicherlich nicht als sicherer Ort betrachtet werden.

Steht mensch an diesem Ort, sind in die eine Himmelsrichtung eine schöne Bergkulisse zu betrachten und auf der anderen Seite unzählige Villen, Einfamilienhäuser und Ferienwohnungen.

Ein absurder Anblick und kaum real zusammen zu bringen.

Mit ähnlichen Eindrücken können wir von einem weiteren Schlafplatz berichten.

Am Strand, der sich parallel zum Zentrum mit Theater, Cafés und Geschäften befindet, suchen viele People on the move eine Möglichkeit zum Schlafen. Da es am Meer immer windig ist und auch meist kälter, stellt das jedoch eine Herausforderung dar. Wir treffen viele Menschen, die wir vom Parkplatz der Via Tenda kennen, auf und unter Terassen von gerade ungenutzten Cafés und Restaurants wieder. Dort verbringen sie die Abende und die Nacht mit dem Rauschen des Meeres, dass bei einigen Menschen sicherlich traumatische Erinnerungen hervor ruft. Und ironischer Weise ist der Blick nach Frankreich uneingeschränkt möglich.

Auch hier sind Berge von Müll zu finden, zum Teil von der Überschwemmung im vergangenen Oktober, zum Teil zeichnen sie die Wege der vielen Menschen nach, die diesen Ort schon genutzt und wieder verlassen haben.

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Via Tenda – distribution place Ventimiglia

In einem der ersten Berichte haben wir den Parkplatz Via Tenda als wichtigen Ort des Geschehens für People on the move und für uns als direct support crew aufgezählt.

In diesem Bericht wollen wir etwas genauer auf diesen Ort eingehen und seine Bedeutung verdeutlichen.

Der besagte Parkplatz befindet sich am Rand der Innenstadt von Ventimiglia, der Strand ist nicht weit und eine Schnellstraße führt über die daneben liegende Brücke, an der die französische Grenze bereits ausgeschildert ist.

Am distribution place spielt sich schon seit einigen Jahren ein Teil des Alltags der Menschen ab, die sich on the move befinden. Von der Stadtverwaltung und der Polizei wird es überwiegend geduldet, dass sich Menschen, die gezwungener Maßen auf der Straße leben müssen, dort auf halten.

Jedoch ist der Platz nicht frei von Repression. Der Platz wird täglich von sehr auffälligen Zivilpolizist*innen beobachtet und punktuell werden Unterstützer*innen kontrolliert. Kontrollen von People on the move haben wir bisher an diesem Ort noch nicht erlebt, eher wirkt es so, dass sich die Polizei für die Menschen nicht weiter interessiert, so lange sie nach der momentanen Ausgangssperre aus dem Stadtbild verschwunden sind.

Verschiedene solidarische Gruppen und NGOs kommen an jedem Tag in den Abendstunden dorthin und versorgen die Menschen mit Lebensmitteln, Kleiderspenden und zeitweise auch mit einer mobilen Handyladestation.

Seitdem wir uns in Ventimiglia befinden, ist der distribution place auch für uns ein täglicher Anlaufpunkt geworden.

Mit dem Info- und dem Medibus ist ein Teil unserer Gruppe stets vom Mittag bis zum Abend, wenn die Essensausgabe durch andere Gruppen beginnt, vor Ort.

Unser Anliegen ist es dabei, den Menschen, die in Ventimiglia neu ankommen oder aber schon länger festsitzen in ihrem Alltag soweit zu begleiten, wie es uns möglich ist und ihnen für die Dauer unseres Aufenthalts verschiedene Angebote in Form von Tee, Kaffee, Essen, Zugang zum Internet, Strom zum Laden ihrer Handys und einer medizinischen und hygienischen Grundversorgung zu machen. Durch diese Gestaltung des sonst sehr tristen Parkplatzes, wollen wir versuchen den Alltag der People on the move zu unterstützen, in dem sie Kontakt zu Freund*innen und Familie aufnehmen können. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem sie sich kurzzeitig ausruhen und etwas Kraft sammeln können, um zu überlegen, wie es für sie weiter gehen kann.

In den letzten Wochen wurde dieses Konzept gut angenommen und in den Tagesablauf integriert.

Der Infobus ist zu einem Treffpunkt geworden, an dem gerne Kaffee und Tee getrunken wird und viele Gespräche geführt werden. Mittlerweile hat sich eine Haarschneidestation etabliert und auch die Informationen in Form von Kartenmaterial der Region werden studiert und begutachtet.

Auch der Medibus ist zu einer Anlaufstelle verschiedenster Belange geworden. Manche Personen kommen nur für die notwendigsten Belange vorbei, andere lassen sich den täglichen Besuch mit kleineren oder größeren Anliegen nicht nehmen.

Viele Menschen treffen wir an jedem Tag, oft freuen wir uns, wenn wir bekannte Gesichter nicht wieder sehen oder kommen mit neu angekommen Personen ins Gespräch und können erste Informationen zu Ventimiglia weitergeben.

Einerseits wirkt es so, als würden die Tage am Parkplatz immer gleich verlaufen – doch andererseits haben wir mittlerweile erlebt, dass wir nie wissen, wie jeder Tag verlaufen wird. Manchmal füllt sich der Platz mit bis zu 100 oder sogar 200 Personen und es macht den Anschein eng zu werden. Am nächsten Tag kann es sein, dass nur 30 oder 40 Personen vereinzelt oder in kleineren Gruppen ihre Zeit dort verbringen. Das hängt damit zusammen, wie viele Personen neu angekommen sind, wie viele Menschen den Weg nach Frankreich geschafft haben und wie viele Menschen ein Pushback durch die Polizei erlebt haben. Nach diesen Ereignissen richtet sich auch die Stimmung und es kann zu sehr angespannten Tagen kommen, an denen häufig Streit und Unmut ausbricht. Am nächsten Tag kann es schon wieder sein, dass sich alle Menschen freundlich und ausgeglichen begegnen und gut gemeinsam den Ort nutzen können.

Es ist ein Ort, der mit den Menschen lebt.

Und so versuchen auch wir ein Stück weit am Parkplatz Via Tenda an der Lebensrealität der verschiedenen Menschen, der people on the move Teil zu haben und ihnen dadurch Solidarität entgegen zu bringen.

Jedoch ist dieser Platz auch ein Beispiel für humanitäre Unterversorgung und politische Praxis, die Menschen davon abhalten soll, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Hier wird deutlich, dass selbst die Versorgung von Menschen, die auf der Suche nach Schutz sind, sich innerhalb von Europa Meilen weit von einander unterscheidet. Personen, die in Italien versuchen einen Aufenthaltstitel zu erhalten, sind komplett auf sich gestellt und werden auch hier wieder an den vermeintlichen Rand der Gesellschaft gedrängt und müssen erneut um ihre Existenz bangen.

Parkplatz Via Tenda – ein Stück Asphalt, unzählige Füße betreten und verlassen diesen Platz. Füße die bereits weite Wege hinter sich haben und die diese Erde bereits an ganz anderen Orten betreten haben. Füße die Menschen tragen , welche ihre Reise noch lange nicht beendet haben…

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Interviews

An jedem Tag reden wir mit den verschiedensten Menschen und hören von ihren Erlebnissen, Erfahrungen, ihrer Vergangenheit und ihren Plänen.

Manche Menschen treffen wir an jedem Tag und begleiten sie während ihrer Zeit in Ventimiglia, so auch einen neu gewonnen Freund, der bereit war mit uns über seine Geschichte zu sprechen.

Er war bereit uns einen Einblick in seine Erfahrungen, Gedanken und Vorhaben zu gewähren.

Diese Worte wollen wir nicht nur für uns behalten und wollen sie gemeinsam mit dem Team der Common Voices Gruppe, einer multilingualen Radiosendung bei Radio Corax in Halle teilen und veröffentlichen.

demnächst bei radio corax

live OnAir auf 95.9 FM

jeden Donnerstag 16:10 – 18 Uhr كل يوم خميس على الهواء مباشرة الساعة الرابعة والعشر دقائق حتى السادسة مساء every Thursday 4.10 – 6 p.m. هر پنج شنبه بخش زنده ساعت ۱۶:۱۰ الی ۱۸ از موج : chaque Jeudi 16:10 – 18:00

online: common voices

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Recht auf Leben – Jetzt sofort – für ALLE!

Seit fast drei Wochen begleiten wir viele Menschen mit verschiedensten Erfahrungen, Lebensläufen und Schicksalen hier in Ventimiglia. Manche Menschen treffen wir nur kurz, manche Menschen kennen wir bereits länger und viele Menschen werden noch hier sein, wenn wir Ventimiglia verlassen. Jede Person hat ihre eigene Geschichte. Doch etwas haben alle gemeinsam. Die Menschen, die hier in diesem kleinem Ort an einer Binnengrenze Europas ankommen und festsitzen, sind durch die Abschottungspolitik des reichem, politischen Westens abgehängt und ihrer Rechte beraubt.
Sie haben kaum eine Chance auf eine sichere, menschenwürdige Zukunft.

Hier vor Ort gibt es für people on the move keine Möglichkeit einen Schutzraum zu finden. Es herrscht eine breite Wohnungslosigkeit und die Menschen, die auf der Straße leben, müssen sich notdürftige Unterkünfte suchen oder schaffen.

In diesen Tagen wurde ein wichtiger Ort erneut durch die Polizei geräumt und unzugänglich gemacht. Es handelt sich dabei um ein verlassenes Gebäude, dass für bis zu hundert Personen und teilweise auch mehr, eine Unterkunft bieten konnte. Auch dieser Ort wurde den Menschen, die bereits so viel hinter sich lassen mussten, nun genommen.

Wir erachten diesen Vorgang als gewaltvolle und übergriffige Handlung von Staat, Regierung und kommunalen Verwaltungsstrukturen. Hierbei wird deutlich, dass Wohlstand und Kapital geschützt werden sollen und es kein Interesse daran gibt, Ressourcen zu teilen und allen Menschen gleichermaßen Schutz zukommen zu lassen.

Diese erneute Räumung ist ein weiteres Zeichen dafür, dass wir weit entfernt von einer gerechten Welt für alle sind.
Wir fordern sicheren Wohnraum für alle! Jetzt und überall! Kein Macht dem Kapital! Ressourcen gerecht verteilen!

Weitere Information könnt ihr heute 14 Uhr bei Corax im Mittagsmagazin hören.
https://radiocorax.de

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25.04. Tag der Befreiung in Italien

Aufgrund des Tages der Befreiung in Italien haben wir uns am Gedenken an die Opfer des Faschismus und an die Kämpfer*innen gegen den Faschismus beteiligt. Dafür haben wir einige Banner gemalt und an den Distribution Point in Ventimiglia gehangen. Es waren außerdem noch andere Grppen vor Ort, die ebenfalls Banner hatten und auch gemeinsam mit den People on the Move einige gemalt haben.

Wir danken all den mutigen Kämpfer*innen, welche während des Faschismus nie aufgegeben haben und für ihre Ideale eingetreten sind. Auch dank euch wurde die unbeschreiblich menschenverachtende Praxis des Faschismus in Europa ausgebremst.

Wir gedenken auch all den Opfern der faschistischen Ideologie.

Nie wieder Faschismus! Open all Borders!

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