Dublin muss weg – die Situation von Betroffenen durch Abschiebung nach einer obsoleten Verordnung

In einem Dublin-Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung von 2013 wird geprüft, welcher Staat in Europa für die Durchführung des Asylverfahrens von Asylsuchenden zuständig ist. Es darf dann nur in diesem einen Staat ein Asylantrag gestellt werden und eine Weiterreise ist nicht erlaubt. Verlässt ein People on the move den zuständigen Staat, kann er oder sie als sogenannter „Dublin-Fall“ abgeschoben werden. Ziel der EU und der vier weiteren beteiligten Staaten Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen war dabei eigentlich zu verhindern, dass Menschen zwischen den Staaten hin- und hergeschoben werden ohne dass jemand Verantwortung für sie übernimmt.

2020 drohte in Deutschland 30.100 Menschen (20 Prozent aller Asylsuchenden) eine Abschiebung nach der Dublin-III-Verordnung. Jeder fünfte Asylantrag wurde also formell abgelehnt, da die Zuständigkeit bei einem anderen Mitgliedstaat lag. Tatsächlich in das Land überstellt wurden aber nur 3.000 Menschen. Im gleichen Zeitraum wurden etwa 4.400 Menschen aus anderen europäischen Staaten nach Deutschland überstellt. Durch die mangelnde Kooperation einiger beteiligter Staaten ist das Verfahren seit 2015 faktisch außer Kraft gesetzt und es wird dennoch daran festgehalten.

In der Verordnung gibt es eine ganze Reihe von Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Staates, die nach der Reihe abgeprüft werden. Zunächst gilt das Prinzip des Kindeswohls für unbegleitete Minderjährige, die dadurch grundsätzlich ein Recht auf Prüfung ihres Asylantrags in dem Land haben, in dem sie sich aufhalten und nicht gegen ihren Willen abgeschoben werden können. Auch das Recht auf Familieneinheit besteht, ist aber nur in einem engen Rahmen garantiert. Es bezieht sich, mit Ausnahme bei Hilfsbedürftigkeit, nur auf die Kernfamilie, d.h. auf Eltern und ihre minderjährigen Kinder und eine Zusammenführung ist nur dann möglich, wenn der/die Ehepartner*in oder ihre Kinder noch in dem anderen Staat im Asylverfahren sind oder bereits dort internationalen Schutz erhalten haben. Meist sind es aber alleinreisende, erwachsene Menschen, die sich auf der Flucht aus ihrem Heimatland auf den Weg nach Europa machen und deshalb wird am häufigsten das Kriterium angewandt, wonach der Staat zuständig ist, über den Mensch in die EU eingereist ist bzw. zum ersten Mal das Territorium betritt. Um dies zu kontrollieren werden People on the move von der Polizei des jeweiligen Landes registriert. Dies passiert vor allem über Fingerabdrücke, die in einer zentralen Datenbank namens EURODAC gespeichert werden, aber auch Fahrkarten oder die jeweilige Landeswährung wurden schon als Beweis geltend gemacht.

Im Prinzip könnte jedoch jeder Staat trotzdem immer noch freiwillig entscheiden, einen geflüchteten Menschen unabhängig dieser Kriterien aufzunehmen, was bekanntlicher Weise aber nicht gerne gemacht wird. Allein aufgrund der Geografie sind demnach meist die Länder an den äußeren Süd- oder Ostgrenzen Europas zuständig, wie beispielsweise Italien oder Ungarn. Und so kommt das Dublin-System vor allem den Ländern im Zentrum Europas zugute, die es in seiner ersten Fassung 2003 auch so durchgesetzt haben und nun daran festhalten wollen, obwohl es zu einer Überlastung weniger, finanziell sowieso schlechter gestellten Staaten führt.

Dass die Lebensbedingungen für die Betroffenen in den Ländern ihrer Zuständigkeit zum Teil unerträglich sind, ist nur einer der Gründe, warum People on the move sich für eine Weiterreise entgegen der Verordnung entscheiden. Neben der Sprachbarriere und mangelnder Informationsweitergabe, ist das Dublin-System an sich schon so kompliziert und undurchsichtig gestaltet, dass Menschen zum Teil garnicht verstehen, welches Land denn jetzt für sie zuständig wäre. Auch kommt es vor, dass Menschen auf ihrer Durchreise unabsichtlich einen Asylantrag gestellt haben, ohne es gemerkt, geschweige denn darüber informiert worden zu sein. Bis das Verfahren abgeschlossen ist, müssen People on the move dann in diesem Land bleiben und oft monatelang in Unsicherheit, ohne Unterkunft, Versorgung oder Arbeitserlaubnis abwarten, wie über ihre Zukunft entschieden wird.

Die Fehler des Dublin-Systems sind auch schon theoretisch offensichtlich, doch die fatalen Auswirkungen haben die People on the move zu tragen. Sie spiegeln sich in zahllosen Lebensgeschichten der Menschen, denen wir in unserem Alltag auf dem Platz begegnen.

Wir treffen zum Beispiel einen Menschen aus Gambia in unserem Medibus, der unter einer langjährigen Erkrankung mit starkem Erbrechen leidet. Auf seinem Weg nach Frankreich bricht er immer wieder zusammen und wird von der französischen Polizei nach Italien gepushpackt, wo wir ihn am nächsten Tag völlig erschöpft und dehydriert treffen. Er erzählt uns, dass er seit einigen Jahren Asyl in Italien habe, aber von der italienischen Regierung nun ausgewiesen wurde, um seinen Fall neu zu prüfen und von einem Tag auf den Anderen seine Wohnung aufgeben musste. Er lebte dann wieder auf der Straße und entschloss sich nach Frankreich zu gehen, wo er aber aufgrund der Dublin-Verordnung nicht einreisen darf und keine Chance auf Asyl hat, da Italien für ihn zuständig ist.

Bei einem Menschen aus Pakistan wundern wir uns über sein fließendes Deutsch und als wir nachfragen, erklärt er uns, dass er bereits 3 Jahre in Deutschland gelebt habe. Er habe die Sprache gelernt und sich ein Leben aufgebaut, dort aber schließlich nur eine Duldung erhalten. Dies ist kein echter Aufenthaltstitel und bringt viele rechtliche Nachteile mit sich. Er bekam dadurch in Deutschland keine Arbeitserlaubnis, was für ihn, wie für viele der Menschen, denen wir begegnen, eine starke psychische Belastung darstellt und dazu führte, dass er schwer depressiv wurde und sich entschied, dass Land zu verlassen und nach Italien zu gehen. Hier wird sein Antrag auf Asyl aber vermutlich abgelehnt werden, weil zuerst Deutschland zuständig ist, wo sein Fall bereits geschlossen ist.

Hinter einem anderen Dublin-Fall verbirgt sich ein Mensch aus Marokko, der perfektes Französisch spricht und ein neues Leben in Frankreich beginnen möchte. Er muss jedoch in Italien bleiben, da dieses Land für seinen Antrag zuständig ist und lebt nun dort auf der Straße und wartet hier nun seit Monaten auf den Ausgang seines Verfahrens, ohne zu wissen, wann und wie darüber entschieden wird.

Der ehemalige EU-Migrationskommissar Avramopoulos sagte, Dublin ist nicht tot und zeigt damit die andauernde Ignoranz der EU gegenüber der bitteren Realität. Nach dem Verfahren dürften in zentraleuropäischen Ländern so gut wie keine Menschen ankommen, was nicht nur ungerecht ist, sondern auch einfach nicht der Fall. In Wahrheit ist das System, spätestens seit 2015, durch die hohe Zahl an Asylanträgen nicht mehr funktionsfähig und wurde deswegen faktisch auch immer wieder außer Kraft gesetzt. Die Länder an den europäischen Außengrenzen können die Zahl der ankommenden Menschen nicht alleine bewältigen, was dazu führt, dass People on the move unmenschlich behandelt werden und sowohl Mitgliedsstaaten als auch People on the move versuchen das System zu umgehen. Währenddessen wird viel diskutiert über alternative Möglichkeiten, wie eine europaweite Quotenregelung. Aber es fehlt die Bereitschaft etwas zu verändern. Und so müssen People on the move weiter mit den fatalen Konsequenzen dieses obsoleten Systems leben.

Das Dublin-Verfahren sollte längst tot sein und es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit von der Situation der Betroffenen erfährt, damit Druck auf die politischen Entscheidungsträger aufgebaut werden kann. Dublin muss weg, das ist offensichtlich und darf nicht mehr weiter geleugnet werden!

We are here and we will fight. Freedom for movement is everybody’s right.

This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink.