Diagnose : Rassismus mit Verdacht auf europäischer Beteiligung
Diabetes gehört in vielen eropäischen Ländern zu sogenannten „Volkskrankheiten“ und hat ähnlich wie Bluthochdruck einen festen Stellenwert in den Vorsorgeuntersuchungen deutscher Hausärzt*innenpraxen. Neben DMPs (desaese managing programs = Krankheit verwaltende Programme), die deutsche Krankenkassen tragen, wenn die Diagnose Diabetes einmal gestellt wurde (jährliche Augenuntersuchung, alle 3 Monate Blutentnahme zur Zuckerspiegelkontrolle und damit einhergehende Neu-Beurteilung der Dosierung der Medikamente, …), werden Apps entwickelt und Sensoren die unter der Haut sitzend in Echtzeit den Zuckerspiegel an ein beliebiges Endgerät senden und sich melden, wenn dieser zu hoch oder zu niedrig wird. Der freie Markt bedient sich an der Diagnose Diabetes. Wie auch in den USA, wo mit den Preisen für Insulin Profit gemacht wird und sich einige Menschen ihr lebenswichtiges Medikament nicht länger leisten können, weil es als Profitmittel missbraucht wird.
People on the move haben nur eingeschränkten Zugang zu solchen medizinischen Versorgungen. Zwar werden sie in den italienischen Notaufnahmen behandelt, da alle per sé in Italien grundversichert sind, aber dabei handelt es sich meistens um nur kurz-gedachte Ansätze der Behandlung, die über die Entlassung hinaus am gleichen oder nächsten Tag nicht gehen. So wird die Diagnose Diabetes für people on the move zu einem lebensbedrohlichen Zustand. Die, die wir trafen hatten keine Möglichkeit ihren Zuckerspiegel zu messen. Wir treffen hier Menschen die seit Tagen kein Insulin mehr haben oder Diabetiker*innen die ihre notwendige Insulindosis scheinbar rationieren damit es länger reicht.
Eine Person, die in den Medibus kam, hatte seit Tagen keinen Zugang mehr zu Insulin. Blutzucker-Messung ergab Werte außerhalb der Messnorm des Gerätes.
*kleiner Exkurs : bei Diabetes mellitus (ugs. Zuckerkrankheit) haben Menschen je nach Typ (es gibt Typ1 und Typ2) aus zwei unterschiedlichen Gründen keinen regulierten Blutzuckerhaushalt mehr im Körper. Der Körper kann nicht von alleine dafür sorgen, dass eine bestimmte Menge an Zucker nicht über- und auch nicht unterschritten wird, der frei im Körper zirkuliert/umher schwirrt und sich langfristig an Blutgefäßen ablagert und Schäden an Organen oder Körperteilen wie den Augen oder den Füßen ( „Diabetischer Fuß“) mit sich führen kann. In akuten Situationen kann es auch zu Bewusstseinsverlust und Koma führen.
In der Gesundheitsversorgung geht es vor allem darum, Menschen mit Diabetes darüber aufzuklären, dass sie ihren Blutzucker regelmäßig messen. Denn über längere Zeit kann ein zu hoher Zuckerwert dem Körper schaden (z.B. setzen sich Zucker an die kleinsten Nervenendigungen was dazu führen kann, dass diese blockieren.
Viele Krankheitsbilder, denen wir täglich im Medibus begegnen, bestehen aufgrund mangelnder Versorgung und aufgrund der prekären Verhältnisse, in denen people on the move oftmals leben müssen. Krankheiten, die unter anderen hygienischen Bedingungen oder unter geregelter Versorgung nicht der Rede wert sein müssen, können mit dem Leben auf der Flucht und auf der Straße lebensgefährlich werden. Viele people on the move ziehen sich auf ihren langen und schwierigen Wegen Wunden zu, die nicht ausreichend heilen können. Oft fehlt die Möglichkeit, die Wunde sauber zu halten, oder es gibt keine Möglichkeit, eine verwundeten Fuß ausruhen zu lassen. So werden kleine Wunden oft zu schwerwiegenden Verletzungen, und Heilungsprozesse können sind ins Endlose ziehen. Hier würden bereits einfachste Maßnahmen, wie eine regelmäßige Duschmöglichkeit oder der Zugang zu Verbandsmaterial Abhilfe leisten. Auch sogenannte „Volkskrankheiten“, wie zum Beispiel Diabetes, werden unter den widrigen Lebensumständen von people on the move häufig zu lebensbedrohlichen Erkrankungen. Es gibt keine Möglichkeit, regelmäßig an die notwendigen Medikamente zu kommen oder sich mit ausreichend Zeit behandeln zu lassen. Krankenhäuser in Italien bieten zwar eine Notversorgung für people on the move an – doch diese ist nicht ausreichend, um chronische Krankheiten begleiten zu können.
In dieser Situation wird deutlich, dass eigentlich gut behandelbare Krankheiten selbst in Europa für viele Menschen schnelle gesundheitsschädigend, chronisch oder sogar lebensbedrohlich bis tödlich verlaufen. Freilich nicht für alle, sondern nur für die, die aufgrund von fehlendem Aufenthaltstitel, ungewünschtem Herkunftsland oder mangelnden finanziellen Ressourcen die scheinbare Gleichheit vor dem Menschenrecht ausgesetzt ist.