Nach der Anreise und dem Aufbau unseres Camps am Wochenende, haben wir versucht zeitig unsere Arbeit aufzunehmen. Zu Beginn der Woche kam es allerdings erst mal zu einer angespannten Wetterlage. Es gab eine Unwetterwarnung für ganz Ligurien vor starkem Regen und Sturm. Schulen und sogar der Friedhof neben der Via Tenda, dem zentralen Platz auf dem verschiedene NGOs und wir wirken, wurden geschlossen. Tatsächlich wurden auch die People on the Move von offizieller Seite aus gewarnt nicht unter der nahegelegenen Brücke zu schlafen, weil es dort im vergangenen Oktober zu mehreren Todesfällen aufgrund von Überflutungen kam. Dort endete aber auch schon die Humanität der italienischen Behörden. Natürlich bekam niemand einen sicheren oder trockenen Schlafplatz zur Verfügung gestellt. Das Höchste der Gefühle war, dass People on the Move unter dem Vordach des Bahnhofes geduldet wurden. Aber auch nur während des Unwetters, ansonsten werden sie dort von den dauerpräsenten Cops sofort weggeschickt. Das Unwetter war letztlich nicht so stark wie befürchtet und am gestrigen Dienstag war es wieder sonnig und auf der Via Tenda waren viele Leute, die wir mit unserer Infrastruktur versorgen konnten.
Heute am Mittwoch waren dann deutlich weniger Leute auf dem Platz und die Küche war etwas geknickt, dass deswegen nur wenige Portionen Essen herausgegeben werden konnten. Der Grund für die gesunkene Anzahl der Leute war allerdings verhältnismäßig erfreulich. Im Gespräch mit Leuten auf dem Platz hat sich herausgestellt, dass am Vortag größere Gruppen den Grenzübertritt versucht haben. Die Leute, mit denen wir gesprochen haben, hatten leider kein Glück, sie wurden von Frankreich aus per Pushback zurückgeschoben. Trotzdem scheinen es diesmal viele andere über die Grenze geschafft zu haben, um ihre Reise fortsetzen zu können.
Das Problem solcher Pushbacks an innereuropäischen Grenzen ist medial kaum präsent. Pushbacks sind schnelle Abschiebungen, ohne Chance auf Durchreise oder einen Asylantrag stellen zu können. Diese illegale Praxis wird von Frankreich (und vielen anderen Staaten auf den Routen) systematisch durchgeführt. Folge ist, dass Menschen teilweise `zig Anläufe benötigen, um es über eine Grenze zu schaffen. Dabei reicht es nicht einfach die Grenze zu überqueren. Pushbacks werden bis hinter Nizza berichtet, auch auf Minderjährige wird dabei keine Rücksicht genommen. Umso einfacher und offensichtlicher die Route, umso größer ist die Gefahr aufgegriffen und zurückgezwungen zu werden. Folge ist, dass Leute auf immer gefährlichere Routen gedrängt werden. In den wenigen Tagen, die wir hier sind, wurde uns bereits von Todesfällen und Vermissten berichtet. Eine Person soll beim Versuch auf dem Dach eines Zuges über die Grenze zu kommen getötet worden sein. Ein weiterer Bericht spricht von einer Gruppe Menschen, die einen Notruf von einem Gebirgspass aus abgesetzt haben und bisher nicht gefunden wurden. Der Pass heißt hier „passo della morte“ – Der Pass des Todes. Sinnbild einer tödlichen Grenze innerhalb Europas, zwischen den Urlaubsorten Monaco und Ventimiglia.