In einem der ersten Berichte haben wir den Parkplatz Via Tenda als wichtigen Ort des Geschehens für People on the move und für uns als direct support crew aufgezählt.
In diesem Bericht wollen wir etwas genauer auf diesen Ort eingehen und seine Bedeutung verdeutlichen.
Der besagte Parkplatz befindet sich am Rand der Innenstadt von Ventimiglia, der Strand ist nicht weit und eine Schnellstraße führt über die daneben liegende Brücke, an der die französische Grenze bereits ausgeschildert ist.
Am distribution place spielt sich schon seit einigen Jahren ein Teil des Alltags der Menschen ab, die sich on the move befinden. Von der Stadtverwaltung und der Polizei wird es überwiegend geduldet, dass sich Menschen, die gezwungener Maßen auf der Straße leben müssen, dort auf halten.
Jedoch ist der Platz nicht frei von Repression. Der Platz wird täglich von sehr auffälligen Zivilpolizist*innen beobachtet und punktuell werden Unterstützer*innen kontrolliert. Kontrollen von People on the move haben wir bisher an diesem Ort noch nicht erlebt, eher wirkt es so, dass sich die Polizei für die Menschen nicht weiter interessiert, so lange sie nach der momentanen Ausgangssperre aus dem Stadtbild verschwunden sind.
Verschiedene solidarische Gruppen und NGOs kommen an jedem Tag in den Abendstunden dorthin und versorgen die Menschen mit Lebensmitteln, Kleiderspenden und zeitweise auch mit einer mobilen Handyladestation.
Seitdem wir uns in Ventimiglia befinden, ist der distribution place auch für uns ein täglicher Anlaufpunkt geworden.
Mit dem Info- und dem Medibus ist ein Teil unserer Gruppe stets vom Mittag bis zum Abend, wenn die Essensausgabe durch andere Gruppen beginnt, vor Ort.
Unser Anliegen ist es dabei, den Menschen, die in Ventimiglia neu ankommen oder aber schon länger festsitzen in ihrem Alltag soweit zu begleiten, wie es uns möglich ist und ihnen für die Dauer unseres Aufenthalts verschiedene Angebote in Form von Tee, Kaffee, Essen, Zugang zum Internet, Strom zum Laden ihrer Handys und einer medizinischen und hygienischen Grundversorgung zu machen. Durch diese Gestaltung des sonst sehr tristen Parkplatzes, wollen wir versuchen den Alltag der People on the move zu unterstützen, in dem sie Kontakt zu Freund*innen und Familie aufnehmen können. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem sie sich kurzzeitig ausruhen und etwas Kraft sammeln können, um zu überlegen, wie es für sie weiter gehen kann.
In den letzten Wochen wurde dieses Konzept gut angenommen und in den Tagesablauf integriert.
Der Infobus ist zu einem Treffpunkt geworden, an dem gerne Kaffee und Tee getrunken wird und viele Gespräche geführt werden. Mittlerweile hat sich eine Haarschneidestation etabliert und auch die Informationen in Form von Kartenmaterial der Region werden studiert und begutachtet.
Auch der Medibus ist zu einer Anlaufstelle verschiedenster Belange geworden. Manche Personen kommen nur für die notwendigsten Belange vorbei, andere lassen sich den täglichen Besuch mit kleineren oder größeren Anliegen nicht nehmen.
Viele Menschen treffen wir an jedem Tag, oft freuen wir uns, wenn wir bekannte Gesichter nicht wieder sehen oder kommen mit neu angekommen Personen ins Gespräch und können erste Informationen zu Ventimiglia weitergeben.
Einerseits wirkt es so, als würden die Tage am Parkplatz immer gleich verlaufen – doch andererseits haben wir mittlerweile erlebt, dass wir nie wissen, wie jeder Tag verlaufen wird. Manchmal füllt sich der Platz mit bis zu 100 oder sogar 200 Personen und es macht den Anschein eng zu werden. Am nächsten Tag kann es sein, dass nur 30 oder 40 Personen vereinzelt oder in kleineren Gruppen ihre Zeit dort verbringen. Das hängt damit zusammen, wie viele Personen neu angekommen sind, wie viele Menschen den Weg nach Frankreich geschafft haben und wie viele Menschen ein Pushback durch die Polizei erlebt haben. Nach diesen Ereignissen richtet sich auch die Stimmung und es kann zu sehr angespannten Tagen kommen, an denen häufig Streit und Unmut ausbricht. Am nächsten Tag kann es schon wieder sein, dass sich alle Menschen freundlich und ausgeglichen begegnen und gut gemeinsam den Ort nutzen können.
Es ist ein Ort, der mit den Menschen lebt.
Und so versuchen auch wir ein Stück weit am Parkplatz Via Tenda an der Lebensrealität der verschiedenen Menschen, der people on the move Teil zu haben und ihnen dadurch Solidarität entgegen zu bringen.
Jedoch ist dieser Platz auch ein Beispiel für humanitäre Unterversorgung und politische Praxis, die Menschen davon abhalten soll, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Hier wird deutlich, dass selbst die Versorgung von Menschen, die auf der Suche nach Schutz sind, sich innerhalb von Europa Meilen weit von einander unterscheidet. Personen, die in Italien versuchen einen Aufenthaltstitel zu erhalten, sind komplett auf sich gestellt und werden auch hier wieder an den vermeintlichen Rand der Gesellschaft gedrängt und müssen erneut um ihre Existenz bangen.
Parkplatz Via Tenda – ein Stück Asphalt, unzählige Füße betreten und verlassen diesen Platz. Füße die bereits weite Wege hinter sich haben und die diese Erde bereits an ganz anderen Orten betreten haben. Füße die Menschen tragen , welche ihre Reise noch lange nicht beendet haben…