Seitdem wir in Ventimiglia sind dreht sich unser Alltag um die Lebensrealitäten der people on the move und die Abgründe, die Staatssysteme auf die Existenzen vieler Menschen werfen. Jedem Tag treffen wir Personen, die uns von ihren Erfahrungen, die sie auf der Flucht nach Europa oder auf der Flucht vor einer Abschiebung aus Europa, erzählen – diese sind gezeichnet von Dramatik und von Absurdität kaum zu überbieten. Die Menschen sind mit Wohnungslosigkeit, Hunger, hygienischer und medizinischer Unterversorgung und emotionaler Überbelastung und Traumatisierung konfrontiert.
Dazu kommt jedoch noch ein weiterer Aspekt. Alle people on the move sind in der Situation, dass sie von organisierter Kriminalität in Form von Menschenschmuggel und gefährlicher Schleuserei betroffen sein können. Hinzu kommt jedoch auch noch der Aspekt des Menschenhandels.
An den verschiedenen Orten, an denen sich die people on the move am Tag oder über die Nacht aufhalten, ist das Bild von männlich gelesenen Personen geprägt, weiblich gelesenen Personen oder Kinder sind nur vereinzelt und auch eher selten anzutreffen.
Dieser Umstand hat verschiedene Hintergründe, ein gravierender ist Menschenhandel und woman trafficking. Viele weiblich gelesene Personen befinden sich teilweise seit dem Start in ihrem Heimatland in patriarchalen und gewaltvollen Strukturen, die über sie bestimmen. Eine Flucht wird ihnen nur mit Gegenleistung in Form von Anspruch auf ihren Körper und kompletter Fremdbestimmung gewehrt.
Viele der Frauen befinden sich in permanenter Begleitung von „ihren Männern“ oder ihren sogenannten „brothers“. Diese bestimmen über ihren Aufenthalt mit, ob sie mit anderen Menschen reden dürfen oder ob sie z.B. medizinische Versorgung in Anspruch nehmen dürfen oder nicht. In diesen Zusammenhängen werden die Frauen genötigt, für ihren Unterhalt und die „Weiterbegleitung“ in das Zielland zu arbeiten. Eine Form dieser Arbeit ist Zwangsprostitution.
Diese Abläufe passieren in von Außen sehr schwer zu erkennende Zusammenhängen und es ist unklar, welche tiefgreifenden Ausläufe und Verwurzelungen diese Strukturen in großangelegte Kriminalität ziehen. Daher ist es auch sehr schwer bis unmöglich, betroffene Personen zu unterstützen. Es ist eine schmale Gratwanderung, welche Handlungen und welche Form der Sichtbarmachung den Frauen hilft oder sie unter Umständen noch mehr gefährdet und ihren Alltag noch mehr erschwert. Ebenfalls können unbedachte Handlungen auch auf Unterstützungsstrukturen zurück fallen und sie Unannehmlichkeiten oder Gefahren aussetzen.
Das Wissen um diese möglichen Abläufe legt sich oft über unseren Alltag und führt dazu, dass Konstellationen von Personengruppen und Rollen einzelner Personen in verschiedenen Richtung hinterfragt werden. Das kann häufig zu Unsicherheit und Zwiespalt führen. Wenn weiblich gelesene Personen mit ein oder zwei männlich gelesenen Personen unterwegs sind, werden diese Situationen hinterfragt, was dazu führt, dass männlich gelesenen Personen viele Vorurteile entgegen gebracht werden und weiblich gelesenen Personen eine enorme Hilfsbedürftigkeit und fehlende Selbstbestimmung zugeschrieben wird.
Diese Thematik befindet sich in einem enormen Spannungsfeld zwischen akutem Handlungsbedarf, Bewusstsein für die Sensibilität der Situation und stetiger Beachtung der individuellen Situation. Menschenhandel ist nach wie vor ein prekäres und aktuelles Thema und tritt in verschiedensten Formen und Umsetzungen auf.
Menschenhandel passiert in und um Europa!
Die Abschottung der europäischen Außen- und Binnengrenzen und deren Verteidigung auf Kosten von tausenden Menschenleben ist ein Katalysator dafür, dass Personen durch Menschenhandel korrupte Geschäfte führen können.
Hier in Ventimiglia, einem kleinen Ort an Italiens Grenzen ist ein weiteres Puzzelteil in der strukturell rassistischer und rechtskonservativer Vertidigungspolitik der EU erkennbar.
Wir stellen uns gegen diese menschenfeindliche Praxis und fordern sichere Flucht- und Reisewege!
Solidarität jetzt!
Smash Capitalism – stopp human trafficking now!
No Nation – No Borders!