Unsere direct support Struktur ist in unserer jetzigen Konstellation in drei Fahrzeuge, die zur Zeit von 4 Teams bespielt werden. Ein Teil davon ist der Medibus. Im ersten Moment könnte mensch meinen, beim Medibus und dessen Aufgaben handelt es sich um eine eindeutige Angelegenheit. Doch so divers wie die Menschen und ihre Geschichten, auf die wir treffen, so verschieden sind auch die Ereignisse in und um den Medibus. Auf den ersten Blick sieht unser medizinischer Allrounder aus wie der Sprinter eines Handwerksbetriebes und kann somit ungesehen im Getummel der Stadt abtauchen. Doch auf den zweiten Blick in das Innere des Busses wird deutlich, was im Innenraum alles geschehen kann. Die Ladefläche ist in einen Behandlungsraum und eine Schlafkabine für die Crew aufgeteilt. Da der Sprinter ca. 7m lang ist, bietet er für 4 Bettplätze und eine ausreichend geräumige Arbeitsfläche Raum. Die Behandlungskabine kann durch die Hecktür betreten werden und beinhaltet eine verstellbare Behandlungsliege, eine Hängeregal, ein Standregal und einen Metallschrank mit Ablagefläche. Somit ist für viel Stauraum gesorgt. Zur Ausstattung gehören jegliche Medizinpodukte, die der Wundversorgung und dem Verbandswechsel dienen, Hygieneprodukte wie Tampons, Binden, Zahnbürsten und Cremes gehören ebenfalls dazu. Damit das Mediteam auch ohne Bus mobil sein kann, gibt es einen Sanirucksack mit einer kleinen Grundausstattung. Blutdruckmessgerät, Blutzuckermessgerät, Stethoskop und Sauerstoffmesser dürfen für den Notfall natürlich auch nicht fehlen. Neben dieser Basisausstattung sind im Medibus auch stets kreative Lösungsansätze zu finden, angefangen von möglichen Sprachbarrieren bis hin zu praktischen Umsetzungen an die aktuelle Lebensrealität der vorwiegend wohnungslos und mittellos lebenden Menschen.
Doch was passiert im Medibus?
Während der Infobus für people on the move einen Anlaufpunkt über den Tag bietet, öffnet der Medibus seine Tür zum Behandlungszimmer. Dort warten dann Personen von uns mit medizinischem Hintergrund (Pflege-, Sanitäter*innen oder Ärzt*innenausbildung) auf Menschen, die sich ihnen mit ihren Beschwerden anvertrauen wollen. Nachdem der Medibus an Bekanntheit gewonnen hat, wird er häufig und auch regelmäßig aufgesucht. Viele Menschen sind durch lange Fußmärsche und das Leben auf der Straße in Anspannung und Ungewissheit im Bezug auf ihre Zukunft gezeichnet. Sie haben Schmerzen in den Gliedern, haben Prellungen, Zerrungen oder verstauchte Beine. Es gibt kaum Füße ohne Blasen. Viele Personen sind erschöpft von der körperlichen Belastung und der Kräfte zehrenden Perspektivlosigkeit. Somit ist Schlaflosigkeit und stets wiederkehrende Gedanken und Traumata ebenfalls immer ein aktuelles Thema. Aufgrund der hygienischen Missstände treten häufig Hauterkrankungen und Parasitenbefall des ganzen Körpers auf. Fast alle Menschen haben aufgeweichte Füße von nassen und kaputten Schuhen, oder sehr trockene Haut, die zu Juckreiz führt. Oftmals gilt es kleinere und größere Wunden zu säubern und zu verbinden, die durch Unfälle auf den unwegsamen Strecken entstehen. Jedoch werden Personen auch Verletzungen durch die Pushbacks der Polizei und des Militärs zugesetzt. Schwangere Frauen kommen häufig körperlich überanstrengt und mit Schmerzen vom langen Laufen im Bauch und Unterleib an. Neben all diesen Beschwerden und Erkrankungen finden aber auch viele Menschen den Weg in diesen Schutzraum, um sich die „Seele streicheln“ zulassen und um ein paar Worte in Ruhe zu wechseln. Manchmal ist die Versorgung gut zu gewährleisten, doch oftmals muss sich das Mediteam auch Umwege und und Kompromisse zwischen medizinischer Notwendigkeit und bestehender Realität einfallen lassen. Da die Alternative meistens keine Versorgung wäre, werden jeden Tag niederschwellige Optionen für die Linderung der Probleme gesucht und meistens auch gefunden. Das erfordert Mut und auch die Bereitschaft, bekannte Standards zu verlassen und sich auf die bestehenden Bedarfe einzulassen. Die Crew im Medibus ist mindestens zu zweit, da eine gemeinsame Entscheidungsfindung und Absprache sowie Austausch über passende Erfahrungen wichtige Prozesse darstellen. So viel Ruhe, wie sie meistens im Behandlungsraum herrscht, soviel Trubel ist häufig um den Bus herum. Schnell bildet sich eine Traube von Menschen, die ihre Anliegen vorbringen müssen. In der letzten Woche konnten wir somit eine steigende Annahme verzeichnen und sind uns über die Notwendigkeit der Versorgung einig. Der Medibus ergänzt die direct support Struktur somit auf verschiedenen Ebenen und ist nicht weg zu denken.
Gesundheit ist ein Menschenrecht
Fight the Borders
19.04.2021 Ventimiglia